Migräneanfall

Pochen, Stechen, Dröhnen: Attacken in den Griff bekommen

Von Nadine Effert · 2019

Migräne ist eine neurologische Erkrankung, von der rund zehn Prozent der Deutschen betroffen sind – Frauen fast doppelt so häufig wie Männer. Der Leidensdruck ist groß, auch aufgrund der vielseitigen Begleitsymptome. Dennoch spielt sich Migräne oft im Verborgenen ab, wird nicht richtig diagnostiziert und behandelt. Dabei sind die Möglichkeiten der Therapie heute besser denn je.

Ältere Frau fässt sich an die Schläfen. Sie hat vermutlich einen Migräneanfall.
Über 50 Prozent der Migräne-Patienten gehen trotz starker Einschränkungen nicht zum Arzt. Foto: iStock/dragana991

Pulsierende, pochende Kopfschmerzen, Licht-, Geruchs- oder Lärmempfindlichkeit, Appetitlosigkeit, Übelkeit: Das sind nur einige der zahlreichen möglichen Symptome einer Migräneattacke. Bei 60 Prozent der Patienten ist nur eine Kopfseite vom Schmerz betroffen. Gehen ihm besondere neurologische Ausfallserscheinungen oder Störungen voraus – beispielsweise Drehschwindel, Lähmungserscheinungen, Seh- oder Sprachstörungen –, spricht man von der sogenannten Migräne-Aura. An dieser Form leiden etwa 15 Prozent der Migräniker. Unabhängig von der Art der Migräne und den begleitenden Beschwerden steht fest: Der Leidensdruck ist für die Betroffenen groß. Die Belastung durch Migräne zählt zu den höchsten unter den neurologischen Erkrankungen. 

Alarmierende Zahlen

Fast alle Patienten klagen darüber, dass die Attacken ihr tägliches Leben beeinträchtigen und die Lebensqualität leidet. In zahlreichen Befragungen berichten sie zum Beispiel über eine kompletten Funktionsverlust bei Attacken, darüber, dass sie ihren Familienverpflichtungen nicht nachkommen und an Sozial- und Freizeitaktivitäten nur eingeschränkt teilnehmen können. Auch auf das Berufsleben hat die Krankheit Auswirkungen, wie eine US-amerikanische Studie zeigt: Demnach können etwa die Hälfte der Migränikerinnen und mehr als ein Drittel der betroffenen Männer an sechs Tagen pro Jahr nicht zur Arbeit gehen. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Wirtschaft: In Deutschland führt Migräne jährlich zu Ausfällen von 1,9 Milliarden Arbeitsstunden und somit zu einem wirtschaftlichen Verlust von rund 146 Milliarden Euro. Ausgerechnet hat dies im vergangenen Jahr das Wifor-Institut in Darmstadt im Rahmen der Studie „Krankheitslast und sozioökonomische Auswirkungen von Migräne in Deutschland“. 

Chronifizierung vermeiden 

Ein weiteres Ergebnis der Erhebung, das aufhorchen lässt: Trotz des hohen Leidensdrucks meidet mehr als die Hälfte der Migränepatienten einen Arztbesuch, obwohl ihre Lebensqualität sowie die ihrer Angehörigen erheblich unter der Erkrankung leiden. Mindestens 68 Prozent erhalten folglich keine gesicherte Diagnose und damit auch keine adäquate medizinische Versorgung. Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), sieht Handlungsbedarf, zumal die Prävalenz der Erkrankung steigt. „Es ist wichtig, dass alle Betroffenen eine leitliniengerechte Therapie erhalten. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie hat 2018 gemeinsam mit der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) die Migräneleitlinie aktualisiert. Dafür ist eine neurologische Mitbetreuung des Patienten ratsam.“ 

Quelle: VuMA, 2018

Er hebt hervor, dass der Besuch beim Spezialisten keinesfalls zur Verschreibung von Schmerzmedikamenten im Gießkannenprinzip führe – „im Gegenteil, viele Patientinnen und Patienten haben sich seit Jahren selbst therapiert und stellen sich mit Kopfschmerzen vor, die aus einem Kopfschmerzmedikamenten-Übergebrauch resultieren. Mittlerweile sind auch Triptane, spezielle Migränemedikamente, freiverkäuflich in Apotheken erhältlich. Wenn diese Medikamente über ein Vierteljahr mehr als zehnmal im Monat eingenommen werden, ist davon auszugehen.“ Migräne-Patienten gehören in fachkundige Betreuung, denn nur ein Arzt kann die richtige Therapie verschreiben. Diese umfasst neben der Akuttherapie auch die medikamentöse Prophylaxe. Sie ist laut DMKG sinnvoll, wenn die Attacken häufiger als dreimal pro Monat auftauchen oder auf eine Akutbehandlung schlecht ansprechen. 

Neue Erkenntnisse zum Trigger Kaffee

Betroffene können darüber hinaus auch selbst etwas tun, indem sie bestimmte Auslöser, sogenannte Trigger, erkennen und möglichst (ver)meiden. Denn auch wenn Forscher bezüglich der Ursachen noch weitestgehend im Dunkeln tappen, gilt als gesichert – zumindest bei den Betroffenen selbst, denn die Studienlage hierzu ist bislang eher dünn –, dass bestimmte Faktoren wie Stress, Schlafmangel, Alkohol oder auch bestimmte Lebensmittel Attacken auslösen können. Im Fokus des Teams rund um Elizabeth Mostofsky vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston stand jüngst des Deutschen liebstes Heißgetränk: der Kaffee. „Die Rolle von Koffein bei Migräne ist komplex, weil es sie scheinbar triggert, die Symptome aber unter Kontrolle hält", so die Forscherin. Ihre im August 2019 im American Journal of Medicine veröffentlichte Studie kommt zu dem entwarnenden Ergebnis: Erst ab der dritten Tasse steigt das Risiko für eine Attacke kontinuierlich an. Allerdings zeigte sich auch, dass bei Probanden, die normalerweise keine koffeinhaltigen Getränke zu sich nehmen, bereits eine Tasse Migräne auslösen kann. Daher gilt: Betroffene sollten sich in Achtsamkeit üben, um herauszufinden, was konkret in ihrem Fall in welcher „Dosis“ das Auslösen von Attacken fördert. Des Weiteren sollten sie sich unbedingt in ärztliche Hände begeben, um eine adäquate Behandlung zu erhalten. Denn laut Experten lasse sich mit einer leitliniengerechten und zugleich individualisierten Therapie fast jeder Migränekopfschmerz in den Griff bekommen.

Wussten Sie schon, dass …

… es weit über 200 verschiedene Kopfschmerzarten gibt?

Zu den drei häufigsten zählen: Migräne, Spannungskopfschmerz und die sogenannten Trigeminoautonomen Kopfschmerzen, wie der Cluster-Kopfschmerz.

… Frauen sehr viel häufiger unter Migräne leiden?

Neueste Studien führen die Ursache auf das im Nervensystem produzierte Protein CGRP zurück, das eine Rolle bei Migräneattacken spielt. Tests an Mäusen zeigten, dass die weibliche Hirnhaut darauf empfindlicher reagiert. 

… nicht das Gehirn bei Kopfschmerzen wehtut? 

Das Denkorgan selbst besitzt keine Schmerzrezeptoren. Der Kopfschmerz entsteht in den Hirnhäuten, wobei die genauen Mechanismen noch nicht geklärt sind.

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