Krankheitsverlauf bei Multiple Sklerose

Auf der Spur sein

Von Jens Bartels · 2022

Multiple Sklerose (MS) wird auch als Krankheit mit den 1.000 Gesichtern bezeichnet. Der Grund: Die Erkrankung ist in puncto Verlauf, Beschwerdebild und Therapieerfolg sehr unterschiedlich und lässt immer noch viele Fragen offen. Nun erhärtet eine Studie den Verdacht, das Epstein-Barr-Virus sei der Auslöser der MS.

Person hält eine Hand mit ausgestreckten Fingern mit der anderen Hand fest.
Lähmungen,Taubheitsgefühl, Sehstörungen – MS hat viele Ausprägungen. Foto: iStock / Anut21ng

Schon lange besteht der Verdacht, dass das weit verbreitete Epstein-Barr-Virus (EBV) ein Auslöser der Multiplen Sklerose (MS) sein könnte. Nun berichten Forscher im Fachblatt „Science“, dass eine Infektion mit dem Erreger das Risiko für die Autoimmunerkrankung um etwa den Faktor 32 erhöht. Für die Studie wurden die Blutproben von über zehn Millionen Angehörigen des US-Militärdienstes untersucht. Die Proben wurden allen zwischen 1993 und 2013 eigentlich zum HIV-Screening entnommen und nun erneut genutzt, um eine vorausgegangene EBV-Infektion nachzuweisen. Wie in der Allgemeinbevölkerung war die EBV-Durchseuchung hoch, nur 5,3 Prozent der Proben waren EBV-negativ. Die Forscherinnen und Forscher werteten dann aus, wie viele Personen der Kohorte später an MS erkrankten und wie ihr EBV-Status war. Ergebnis: 955 Menschen erkrankten im Verlauf ihres Militärdiensts an MS, von 801 dieser Erkrankten lagen Serumproben vor, von den meisten sogar bis zu drei Proben, bevor die MS-Diagnose gestellt wurde. Nur einer der 801 Fälle war vor seiner MS-Erkrankung EBV-negativ – alle anderen hatten sich zuvor in ihrem Leben mit EBV infiziert. Die meisten MS-Erkrankungen traten im Median fünf Jahre nach der ersten EBV-positiven Probe aus.

Möglicher Auslöser gefunden

„Zwar handelt es sich nur um Beobachtungsdaten, aber die hohe Teilnehmerzahl, der Ausschluss von Störgrößen und Co-Variablen sowie das eindrückliche Ergebnis bestärken die Hypothese, dass die Infektion mit EBV kausal eine MS verursachen kann, eine Hypothese, die in der Wissenschafts-Community schon lange diskutiert wird“, erklärt Professor Ralf Gold, Direktor der Neurologischen Klinik an der Ruhr-Universität Bochum. „Die Daten untermauern nun die Erkenntnis, dass EBV höchstwahrscheinlich ein Auslöser der MS ist, wenn auch vielleicht nicht der einzige.“ Vor diesem Hintergrund gewinnt die Impfung gegen das EBV an Relevanz, gerade für gefährdetere Populationsgruppen. Frauen sind beispielsweise doppelt so häufig von MS betroffen wie Männer. Die Impfung gegen EBV könnte auch deshalb interessant und effizient sein, da sie womöglich nicht nur der MS, sondern auch verschiedenen Krebserkrankungen vorbeugt. Noch gibt es keinen zugelassenen EBV-Impfstoff, aber verschiedene Firmen arbeiten daran. Offene Fragen sind neben der Wirksamkeit und Sicherheit der EBV-Vakzine auch, wann und wie häufig eine Impfung erfolgen muss.

Unterschiedliche Störungen im Krankheitsverlauf bei Multiple Sklerose

Ein Fortschritt, denn MS ist bislang nicht heil-,aber behandelbar. Bei der Erkrankung wendet sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper und schädigt Strukturen im zentralen Nervensystem, die anschließend, je nach Lokalisation der Schädigung, ganz unterschiedliche Symptome hervorrufen können. Zu Beginn der MS-Erkrankung treten häufig motorische Störungen wie etwa Lähmungen und Sehstörungen mit Verschwommen- oder Nebelsehen als Ausdruck einer Entzündung der Sehnerven auf. Daneben kommen oft Gefühlsstörungen vor, meist in Form von Kribbeln, Missempfindungen oder einem Taubheitsgefühl. Außerdem können unterschiedlichste Beschwerden wie Blasenstörungen, Unsicherheit beim Gehen oder beim Greifen, Doppelbilder und „verwaschenes“ Sprechen auftreten. Daneben können auch Beschwerden eine wichtige Rolle spielen, die oft nicht gut fassbar und sichtbar sind: Dazu gehören eine abnorme, vorzeitige Erschöpfbarkeit, kognitive Störungen, Einschränkungen bei Aufmerksamkeit oder depressive Verstimmungen. Die meisten Betroffenen erhalten die Erstdiagnose zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, die Erkrankung verläuft meist schubförmig. Dabei besteht die Behandlung eines akuten Schubes in der medikamentösen Unterdrückung der Entzündung mit Kortison-Präparaten. Wenn sich Symptome nach einem Schub nicht vollständig zurückbilden, kann es im Verlauf von Jahren zu einer fortschreitenden Behinderung kommen. Allerdings kann mit einer Dauertherapie durch Modifizierung des Immunsystems die Schubrate meistens gesenkt werden.

Ernährung umstellen

Die Forschung hat in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht und das Krankheitsverständnis für MS deutlich verbessert. Mittlerweile kommen in Abhängigkeit von Kernspintomografiebefund und klinischem Verlauf fein ausgetüftelte Behandlungsschemata individualisiert zum Einsatz. Auch mit einer bewussten Ernährung können MS-Betroffene versuchen, ihre Immunabwehr zu stärken und das Entzündungsgeschehen zu minimieren. Vorteilhaft sind vor allem Gemüse, hochwertige Öle, Nüsse und Samen, positiv wirken sich insbesondere die entzündungshemmenden Omega-3-Fettsäuren aus. Kohlenhydrate wie etwa Brot, Nudeln oder Zuckerhaltiges sind dagegen zu meiden. Ein weiterer Ansatz besteht darin, für mehr gute Darmbakterien zu sorgen.

Quellen:
Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN)

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus: Premiere: MS-Zentrum nutzt Sprachtests als digitale Biomarker

 

Sprach-App

Für Ärzte ist es mitunter schwierig, eine MS-Erkrankung bereits im Anfangsstadium sicher zu erkennen. Das ist aber wichtig, da ein frühzeitiger Behandlungsbeginn sehr positiv auf den Verlauf der MS wirkt. Wissenschaftler des MS-Zentrums der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Dresden haben daher ein Verfahren entwickelt, dass künftig dabei helfen soll, eine beginnende MS frühzeitig zu erkennen und ihren Verlauf zu kontrollieren. Bei dem neuen digitalen Projekt steht die Analyse des Sprechens im Mittelpunkt, gesammelt werden die Daten über eine App. Dem Forschenden-Team geht es dabei um die Zusammenhänge zwischen Sprache und Denken, Depression sowie Müdigkeit, die sie mithilfe einer digitalen Sprachanalyse untersuchen. Diese kognitiven und psychischen Funktionen, die in der Diagnostik der MS aufgrund ihrer Häufigkeit besonders relevant sind, können im Verlauf der Erkrankung eine wichtige Rolle spielen und bisherige Verfahren ergänzen.

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